Mit Goethe auf Reisen

Durch seine Reisebeschreibungen bekannt, Goethe war ein leidenschaftlicher Kulturtourist. Mit ihm reiste aber nicht nur manches Mal ein geistreicher Cicerone, mit ihm reiste sinngemäß auch ein Baum. Nicht irgendeiner, sondern ein geschmückter Weihnachtsbaum.

Die erste urkundliche Erwähnung eines solchen Baums in Deutschland stammt aus dem Jahr 1419. Damals hängten die Freiburger Bäcker Naschwerk, Nüsse und Früchte in die Zweige, welche die Kinder der Stadt am Neujahrsfest herunterschütteln durften. Seit dem 16. Jahrhundert leisteten sich die wohlhabenden Freiburger in der Adventszeit Weihnachtsbäume als Schmuck vor ihren Häusern. Bald darauf breitete sich der Brauch im Elsass quer durch alle Schichten aus,  einen mit Papierblumen, Obst und Backwerk geschmückten Baum aufzustellen.

 

 Während seiner Studienzeit in Straßburg lernte Goethe den weihnachtlichen Brauch kennen - nein, er hatte nicht nur Augen für die hübsche Pfarrerstochter. Über seine feige sitzengelassene Freundin schrieb er später Gedichte, über den Weihnachtsbaum schrieb er im Werther.

"An demselben Tage, als Werther den zuletzt eingeschalteten Brief an seinen Freund geschrieben, es war der Sonntag vor Weihnachten, kam er abends zu Lotten und fand sie allein. Sie beschäftigte sich, einige Spielwerke in Ordnung zu bringen, die sie ihren kleinen Geschwistern zum Christgeschenke zurecht gemacht hatte. Er redete von dem Vergnügen, das die Kleinen haben würden, und von den Zeiten, da einen die unerwartete Öffnung der Tür und die Erscheinung eines aufgeputzten Baumes mit Wachslichtern, Zuckerwerk und Äpfeln in paradiesische Entzückung setzte.--"Sie sollen," sagte Lotte, indem sie ihre Verlegenheit unter ein liebes Lächeln verbarg, "Sie sollen auch beschert kriegen, wenn Sie recht geschickt sind; ein Wachsstöckchen und noch was."--"Und was heißen Sie geschickt sein?" rief er aus;"wie soll ich sein? Wie kann ich sein? Beste Lotte!"--"Donnerstag abend," sagte sie, "ist Weihnachtsabend, da kommen die Kinder, mein Vater auch, da kriegt jedes das Seinige, da kommen Sie auch--aber nicht eher."

 

1774, im Jahr der Veröffentlichung von Werthers Leiden weilte Goethe das erste Mal bei den Jacobi-Brüdern in der Villa Pempelfort.  Ihnen muss er auch von den geschmückten Bäumen in der Weihnachtszeit erzählt haben, die er im folgenden Jahr auch am Weimarer Hof einführte. Die Jacobis jedenfalls,  so weiß man aus ihren Briefen, waren sofort entzückt davon, kleine Geschenke für die Kinder, aber auch die Tante zu platzieren. Und wir, wir bekommen auch leuchtende Augen, wenn die Lichter angezündet werden.

 

16. Türchen